Loch Ness Marathon 2019

Veröffentlicht von DeHejner am

Von einem Lauf, der in ein kleines Abenteuer gehüllt wurde. Der beinahe ein DNS gewesen wäre. Der in meinem Kopf öfter mit einem DNF Gedanken spielte. Aber auch einem Lauf der an Atmosphäre und Erinnerungen wohl so schnell nicht zu überbieten sein wird.

Vor gut einem Jahr, am neunten Oktober 2018, hatte ich mich bereits angemeldet. Wie sich das ganze mit Urlaub, Anreise und Familie darum verknüpfen würde, mussten wir noch herausfinden. Am ersten Dezember, haben wir dann eine Unterkunft in Inverness für zwei Tage und vier Personen gebucht. Und am 29. März dann die Fähre nach Newcastle upon Tyne. Nun stand es fest: Schottland wir kommen und der Marathon wird nur ein kleines Stückchen in einer fünfzehntägigen Reise ohne Ziel sein.

Nun ist der fünfte Oktober 2019, wir vier sind in Inverness angekommen. Es ist elf Uhr und somit Zeit die Startunterlagen abzuholen und die Eventarea zu besichtigen. Es nieselt nur leicht, kein Wetter sich zu beschweren. Der großen Rasenplatz sieht super grün aus. Auf diesem, nahe beim Zieleinlauf, ist eine riesen Hüpfburg, ein Karussell und ein großes Seeungeheuer aufgebaut. Die Absperrungen für den Zieleinlauf entlang des River Ness stehen bereits und wir sind nicht die einzigen. Dennoch geht es recht ruhig zu und an meiner Ausgabe für die Startnummer 415 muss ich nicht einmal anstehen. Diese und nur diese bekomme ich mit einem weiteren Zettel zum Ablauf des morgigen Tages auch in die Hand gedrückt, den Rest scheint es dann erst im Ziel zu geben. Ich hole dies übrigens nur deswegen ab, weil ich es bereits gezahlt habe und es keine Möglichkeit gibt zu stornieren. Ich bin in mehrere Schichten Kleidung eingepackt, habe leichte Kopfschmerzen, Schnupfen und die letzten Tage davor auch leicht erhöhte Temperatur. Ob ich morgen überhaupt starte? Schnell noch ein Foto vor Nessie, die Kinder werden ungeduldig und wollen unbedingt die Attraktionen ausprobieren.

Startnummer abgeholt – ob ich sie nutze ist zu dem Zeitpunkt noch offen.

Also ab zur Hüpfburg, diese ist umzäunt und mit einem Eingangsbereich versehen, warum? Ah – fünf Minuten hüpfen kosten zwei Pfund. Uff! Karussell eine Fahrt rund ein Pfund. Moment: Stand hier nicht etwas von kinderfreundlich in der Ausschreibung? Das kann morgen teuer werden aber da soll es laut Wetterbericht ja eh wie aus Kübeln regnen. Auf der anderen Seite, wenn ich eh nicht starte, dann brauchen wir dort auch nicht hin. Die Kinder dürfen trotzdem ein paar Runden hüpfen und fahren bevor wir zum Mittagessen gehen und uns den Rest des Tages die Stadt anschauen. Am Abend werde ich entscheiden trotz Regen und leichtem Schnupfen mich morgens in einen der Busse zu setzen und zum Start zu fahren. Vielen Dank hier auch noch einmal an meine Twitterfreunde für den super tollen und schnellen Support und an Martina für die aufmunternden Worte!

#Raceday

Es ist Sonntag, der sechste Oktober 2019 fünf Uhr und dreißig Minuten. Ganz leise schleiche ich mich aus dem Familienzimmer ins Bad und mache mich bereit in viereinhalb Stunden die Startlinie zu überqueren. Lange Socken, kurze Hose, Unterhemd, kurzarm Trikot und Armline, darüber eine Jacke und ein Buff für den Kopf – ich werde laufen! Es wird bestimmt keine Bestzeit werden, denn ich werde es mit niedrigem Puls durchziehen und viel mehr als sonst auf meinen Körper hören. Bei den ersten Anzeichen von Schmerzen im Brustbereich oder irgendetwas, das auf das Herz-Kreislauf System hindeuten würde, ist Schluss. Es regnet übrigens – wobei man fast von Regen nicht reden kann – es schüttet eher und hat rund acht Grad Celsius. Für den Startbereich also noch eine alte, lange Trainingshose darüber und einen alten Baumwollpullover zum warm halten. Als letzte Schicht eine 100% regendichte Jacke mit Kapuze. So verlasse ich gegen 06:15 Uhr das Haus und gehe mit den vielen anderen zum Sammelplatz in welchem ich in einen der rund 70 Busse steigen werden. Zwanzig Minuten später betrete ich diesen, tropfnass. Aber nun sitze ich zumindest trocken und warm. Schnell füllt sich dieser und um 07:15 Uhr fahren wir los, gute 40 Minuten auf der Westseite vorbei an Urquhart Castle und Fort Augustus, hoch in die Berge zum Startpunkt irgendwo im Nirgendwo. Auf dem Weg hatte ich genug Zeit zwei leckere Haferflocken Riegel zu mir zu nehmen – Porridge to go quasi. Angekommen – Zeit sich in die Schlange einzureihen, um rechtzeitig auf die Toilette zu kommen. Nach etwas über 30 Minuten, war auch dies erreicht. Sofort weiter in die nächste Schlange, um den Beutel abzugeben, der auf den Heimweg per LKW gehen soll. Nun ist es Zeit meine Regenjacke einzupacken auch wenn es weiterhin wie aus Kübeln gießt. Egal, da muss ich nun durch. Selbst die Schotten meckern über den vielen, starken Regen und heftigen Wind, der hier oben herrscht. Einzig die Pipe-Band zieht in Kilt an uns vorbei und dudelt fröhlich. Auf dem Weg zum Startblock, welche durch kleine Schilder am Rand abgesteckt waren, geht es in die nächste Schlange. Etwas genervt von dem ganzen angestelle und den Massen von Leuten versuche ich weiter nach vorne zu kommen. Mit einer Zielzeit von 3:45h hatte ich mich angemeldet, so wie ich mich fühlte wollte ich das auch in etwa erreichen. Im Training wäre das ein super duper lockerer Lauf gewesen und ich war mir eigentlich sicher, wenn ich es schaffe, dann so. Ich drängelte mich weiter nach vorne und plötzlich: Freie Straße. Vor dem 4:00h Marker war es ziemlich leer, etwas weiter vorne sah ich 3:30h (Meine Traumzeit!) und ich stellte mich dahinter. Nur noch zehn Minuten bis zum Start. Die anderen Starter sind bunt gemischt, teilweise in Plastiktüten verhüllt, teilweise in kurz, kurz gekleidet und nur mit Gänsehaut bedeckt. Noch fünf Minuten, Zeit auch die letzten Baumwollklamotten los zu werden (diese werden an den Straßenrand gelegt, aufgesammelt und gespendet) und sich ein wenig im Race-Outfit warm zu hopsen. Aufforderung an alle aufzurücken und dann Drei! Zwei! Eins! Go!

Es geht los!

Die ersten sind gestartet. Zu dem Zeitpunkt in etwa bin ich durch den Start gelaufen.

In einem gemütlichen Tempo traben wir los. Der Regen hat etwas nachgelassen und es nieselt nur noch. Drei Meilen geht es nun leicht bergab und man hat gut Zeit sich warm zu laufen und die Beine geschmeidig zu machen. Es ist ein typisch schottischer Single Track, den wir hier fast die ganze Zeit unter unseren Füßen haben werden. Durch winzige Ortschaften und kleine Wälder, über romantische Brücken, die reißende Bäche bändigen. Es nieselt mal mehr, mal weniger aber das fällt kaum auf. Die wundervolle Natur lenkt hier total ab. Um mich herum eine Gruppe von rund dreißig bis vierzig Läufer/innen. Ein ständiger Wechsel, denn die Steigungen und Gefälle trennen das Feld immer wieder auf. Berg runter, lasse ich es gerne laufen, um die Oberschenkel zu schonen und nicht zu sehr zu bremsen. Bergauf versuche ich den Puls nicht zu sehr hoch zu treiben, um meine Atmung ruhig zu halten und den Herzschlag in einem gesunden unteren Bereich zu haben – zwischen 135 und 145 ist echt entspannt. Nach gut zehn Kilometern mache ich ein kurzes Review, kehre in mich und frage mal meine Körper, was er mittlerweile von der Sache so hält. Alles entspannt, die Beine sind locker, das Herz pumpt ruhig und die Lunge klingt absolut frei. Kein Husten, kein Nase putzen und erst recht keine Kopfschmerzen. Weiter so. An den Verpflegungsstationen gibt es kleine Trinkflaschen, die perfekt in meine Rucksack passen, die Taschen sind voll mit Müsliriegel und Energiegels. Ich achte gewissenhaft darauf gut alle sieben Kilometer etwas zu essen und ausreichend zu trinken auch wenn man manchmal nur den Mund aufmachen muss wenn man durch ein kleines nebliges Tal mit moosbedeckten Bäumen läuft.

Halbzeit!

So entspannt kann man einen halben laufen. Bei der Kulisse einfach traumhaft.

Nach gut 1:45h ist die Hälfte geschafft und ich liege erstaunlicherweise in einer Zielzeit, auf die ich eigentlich trainiert hatte. Allerdings weiß ich auch, dass es zum Ende hin nochmal eine kleine Steigung geben wird. Der Weg wird etwas breiter und wir kommen an vielen Stellen auf einer Ebene mit dem Loch. Ich habe zwar mein Handy dabei, um vielleicht mal ein Foto zu machen, aber die Atmosphäre kann man nicht in Bilder fassen, nicht mit einem Handy. Also lasse ich es und versuche die Bilder in meinen Kopf zu bekommen. (Es klappt, beim Schreiben dieser Zeilen springen mir diese permanent vor inneren Auge auf und ab – eine tolle Slide-Show!) Kilometer 29 beim Örtchen Dores ist erreicht, kleine Hinweisschilder bereiten einen darauf vor, dass hier der letzte Anstieg kommt – Almost! Die haben Humor. Gute drei Kilometer geht es nun noch einmal bergauf, Geschafft. Was wohl meine Frau und Kinder bei dem Wetter machen?

In Inverness ist es trocken und fast sonnig. Zeit am Ufer ein wenig zu spielen.
Nur einen Steinwurf weit vom Ziel entfernt vertreiben wir uns die Zeit.

Ab jetzt liegen nur noch zehn Kilometer mit im Durchschnitt fallendem Gelände vor mir. Im Durchschnitt deswegen, denn Almost! bedeutet hier, dass wir noch sechs Kilometer mit Hügeln von rund 20 bis 30 Höhenmetern zu tun haben und das dauernd. Dass dies in die Beine geht, merke nicht nur ich. Auf der Strecke gehen auf einmal sehr viele, einige bleiben stehen und dehnen, andere humpeln mit schmerzverzerrten Gesichtern am Rand weiter. Ich schaffe es trotzdem weiter in meinem Tempo zu traben, konditionell geht es mir blendend. Wir laufen mittlerweile auf einer normalen Straße deren Hälfte abgesperrt ist. Die Abstände zwischen den Häusern werden dichter, es stehen plötzlich viele Leute am Straßenrand. Noch sind es vier Kilometer aber wir sind in Inverness angekommen. Ich will nicht mehr! Irgendwas in meinem Kopf sagt mir plötzlich, dass meine Beine weh tun müssen und das tun sie nun auch. Warum nur? Es zieht in den Oberschenkeln.

Etwas weniger entspannt, aber in Inverness angekommen.

Noch drei Kilometer. Ich werde jetzt nicht stehen bleiben und überhole noch welche. Das gibt Kraft. „Didn’t see you in a while!“ tönt es plötzlich neben mir und ich erkenne einen Läufer, der im Startbereich neben mir stand und die ersten fünf Meilen um mich herum gelaufen ist. Ein wenig Small Talk auf den letzten zwei Kilometern, keine Ahnung über was wir gesprochen haben. Eigentlich will ich nur noch ins Ziel. Ich überlege wo meine Frau und Kinder sein könnten, das lenkt ab, gibt Kraft und macht feuchte Augen. Der letzte Kilometer, meine Blicke suchen die Zuschauer ab. Jubel, Applaus und Musik. Die Ansagen des Stadionsprechers höre ich seit gut 20 Minuten. Aber wo ist meine Familie? Es sind nur noch wenig 100 Meter. Da! Auf einem Pfosten entdecke ich sie, ich will hin und sie in die Arme nehmen. Zielzeit wird auf einmal so egal.

Wenn du kurz vor dem Ziel deine Familie siehst wird alles andere zweitrangig.

Drücken, küssen – so viel Zeit habe ich. Und mit so viel neuer Energie weiter in Richtung Ziel. Plötzlich sind alle Schmerzen weg, der Kopf ist frei und nach drei Stunden achtunddreißig Minuten und fünfundvierzig Sekunden überquere ich die Ziellinie. Eine neue persönliche Bestzeit. Ehe ich mich versehe habe ich eine Medaille am Hals hängen und räume den Zielbereich. Mach Platz für die, die nach mir rein kommen und reihe mich zu denen ein, die schon hier sind.

Zieleinlauf mit neuer Kraft!

Sehr nahe an dem auf was ich die letzten zwölf Wochen trainiert habe und mir geht es gut, mir geht es sehr gut. Ich kann in Ruhe und völlig entspannt mich dehnen. Auch wenn ich von der netten Dame gefragt, ob alles ok wäre. Scheinbar muss ich noch etwas an meinem Strechting-Stil arbeiten, wenn man das als ich bin völlig im Eimer interpretieren kann. Doch nun will ich hier raus. Ich habe Hunger. Schließlich ist es fast vierzehn Uhr. Auf dem Weg nach draußen bekomme ich eine Plastiktüte in die Hand gedrückt, einen Apfel und eine Banane gereicht, darf mir ein Trikot aussuchen. Weiter hinten gibt es dann noch eine Trinkflasche mit Wasser gefüllt und das war es, ich bin raus aus dem Läuferbereich. Das kenne ich von heimischen Volksläufen anders, aber bei der Menge an Startern (3.581 Marathonfinisher) ist es wohl nicht anders möglich. Auf dem matschigen Platz, der gestern noch grüner, saftiger Rasen war suche ich meine Familie. Wir reden kurz, holen gemeinsam meinen Turnbeutel aus dem LKW ab und ich hole mir ein kleines Mittagessen für den Gutschein, den ich bekommen habe. Eine Baxter Fertigsuppe in einem Becher und dazu eine Handvoll Nudeln mit Hackfleisch. Irgendwie reicht es mir dann. Und den Kindern auch. Es war schön und es hat Spaß gemacht. Die Organisation war gut und reibungslos aber es bleibt am Ende eher eine Massenveranstaltung mit für mich relativ viel Kommerz – auch wenn es einem guten Zweck dient.

Eine Statistik mit Zahlen, die mich sehr zufrieden stimmen.

Und nun? Den Abend werden wir noch in Inverness verbringen und auf dem Weg zum Restaurant noch ein paar Läufer/innen sehen, die dann erst ins Ziel kommen. Aber sie kommen an! Danach geht es weiter durch Schottland, Isle of Skye und Glasgow warten auf uns.


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